Irland – das grüne Juwel im Atlantik, bekannt für seine saftigen Wiesen, mystischen Klippen und uralten Geschichten. Doch meine Reise führte mich nicht zu den klassischen Sehenswürdigkeiten, sondern zu einer weniger bekannten, faszinierenden Tradition: der Algenernte. Ich finde mich an der zerklüfteten Westküste Irlands, wo der Atlantik in seiner wilden Schönheit das Land formt und eine Jahrhunderte alte Tradition gedeiht: die Ernte von Meeresalgen.
Schon bei der Ankunft an der Westküste, spürte ich die wilde Schönheit der Umgebung. Die Luft roch nach Salz und Algen, ein unverkennbarer Duft, der vom stetigen Atlantikwind getragen wurde. Die Fahrt hierher war schon ein Abenteuer für sich. Schmale Straßen schlängeln sich durch grüne Täler und entlang von geteilten Klippen, gesäumt von trockenen Steinmauern und neugierigen Schafen. In einem kleinen Dorf treffe ich Ian, unseren Algenbauer in dritter Generation. „Das Meer hat uns schon immer ernährt“, sagt er und begrüßte mich mit einem kräftigen Händedruck. Sein wettergegerbtes Gesicht und die leuchtenden Augen verrieten seine Leidenschaft für das, was viele als „grünes Gold des Meeres“ bezeichnen.
Der nächste Tag begann früh, noch bevor die Sonne über den Horizont kroch. Ian erklärte, dass die Gezeiten entscheidend seien – bei Ebbe gibt das Meer seinen Schatz preis. Das Meer zieht sich zurück und legt einen Teppich aus Algen frei, der in der Sonne in unzähligen Farbtönen glitzert. Ausgestattet mit Gummistiefeln, Handschuhen und einem Korb folgte ich Ian über die glitzernden Felsen. Die Wellen rollten rhythmisch gegen die Klippen, und das Licht der Dämmerung verwandelte das Wasser in eine silbrig schimmernde Fläche. Schon eine mystische Stimmung hier.
„Wir suchen nach Dulse“, erklärte Ian, während er mit einem kleinen Messer den rötlichen und grünen Algenabschnitt vorsichtig abschnitt. Diese Sorten sind besonders begehrt – Dulse als proteinreiche Zutat für Salate und Suppen. „Aber wir ernten nachhaltig“, fügte er hinzu, „nur einen Teil der Pflanze, damit sie immer wieder nachwachsen kann.“ Es ist überraschend beruhigend, die Algen mit einer Sichel abzuschneiden, sodass die Basis intakt bleibt und sie nachwachsen kann. „Nachhaltigkeit ist der Schlüssel“, betont Ian nochmals. Früher wurde die Ernte oft von Familien durchgeführt, die mit Pferden die gesammelten Algen abtransportierten. Heute gibt es moderne Hilfsmittel, aber die Arbeit bleibt hart und wetterabhängig.
Ich kniete mich hin und begann, die Algen zu sammeln. Es war überraschend meditativ, doch die Arbeit hatte auch ihre Tücken: Die rutschigen Felsen forderten Konzentration, und das kalte Wasser ließ meine Hände taub werden.
Während wir weiterarbeiten, erzählt Ian von der Geschichte der Algen in Irland. Während der Hungersnot im 19. Jahrhundert waren Algen eine lebenswichtige Nahrungsquelle. Heute erlebt die Algenindustrie eine Renaissance, da die Nachfrage nach natürlichen und nachhaltigen Produkten wächst. „Wir Iren wussten schon immer, dass das Meer reichhaltig ist“, sagt Ian mit einem Augenzwinkern. „Früher war es ein Überlebensmittel für arme Fischerfamilien. „Heute ist es ein Superfood“, sagte er mit einem Lächeln.
Am Nachmittag ist der kleine Anhänger voll beladen, und meine Hände sind kalt und trotz Handschuhe sehr aufgeweicht durch das Wasser. Ian lädt mich ein, die nächste Station zu besuchen: die Trocknung und Verarbeitung der Algen. Im nahegelegenen Dorf hängen die Algen in einer kleinen Scheune in langen Reihen zum Trocknen, ein Anblick, der mich an alte Tabakfarmen erinnert. Der Duft ist intensiv – salzig, mineralisch und irgendwie belebend.
Zum Abschluss diese sehr erlebnisreichen Tages führt Ian mich in seine kleine Küche, wo wir eine lokale Spezialität zubereiten: ein Dulse-Algen-Brot, dessen Rezept seit Generationen weitergegeben wird. Das Brot ist unerwartet köstlich, mit einer subtilen salzigen Note und einem Hauch von Meer. Dazu gibt es frischen Fisch und natürlich irische Butter – eine Mahlzeit, die das Beste von Land und Meer vereint.
Als ich später in der Abenddämmerung an der Küste sitze, den Blick auf die tosenden Wellen gerichtet, fühle ich mich mit der Natur verbunden wie selten zuvor. Die Algenernte ist nicht nur eine Arbeit, sondern eine tief verwurzelte Kultur, die Respekt vor dem Meer und seinen Geschenken verlangt.
In Irland ist das Meer nicht nur Kulisse – es ist Lebensader, Tradition und Inspiration. Und während ich meinen letzten Abend an der rauen Atlantikküste verbringe, spüre ich, dass diese Reise mehr als ein Besuch unseres Algenbauers war. Es war eine Rückkehr zu den Ursprüngen, zu einer Lebensweise, die die Natur ehrt und nutzt, ohne sie zu erschöpfen.